DIE ZEITSCHRIFT
FÜR ORGONOMIE

Liebe, Arbeit und Wissen sind die Quellen unseres Lebens.
Sie sollten es auch beherrschen.

WILHELM REICH

 



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David Holbrook
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Paul Mathews
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DIE BEHANDLUNG EINES KATATONEN SCHIZOPHRENEN: DIE ANLAUFPHASE

Richard Schwartzman, D.O.

The Journal of Orgonomy vol. 15/2, 1981
The American College of Orgonomy

 

John, ein 24jähriger, alleinstehender, weißer, protestantischer Mann, der aus Boston stammte, kam in Behandlung wegen Angst, Selbsthaß, Wut und Depression. Er war verzweifelt und dachte ernsthaft an Selbstmord. Drei Jahre zuvor war er sogar noch depressiver und immobilisierter gewesen. Damals hatte er die Schule abgebrochen, da es sinnlos erschien weiterzumachen.

Dieser Patient stellt sich als ein ernster und anständiger junger Mann vor, der sein ganzes Leben im Kern seines Wesens unter tiefen Gefühlen des Elends gelitten hatte. Er hatte nie aufgegeben, auch zu seinen schlimmsten Zeiten, und hatte fortgefahren zu arbeiten und für sich zu sorgen. Es war von Anfang an klar, daß er sich nicht beklagen würde, egal wie verzweifelt er sich fühlte. Ich mochte ihn sofort.

Er ist das zweite von drei Kindern, mit zwei Schwestern, eine ein Jahr älter und die andere zwei Jahre jünger. Seine grausame und tyrannische Mutter sagte ihm nie, daß er gut sei oder daß sie stolz auf ihn wäre. Niemand in der Familie wagte es die Stimme gegen sie zu erheben. Das Haus war ein Schlachtfeld, auf dem die Kinder ihre aufgestaute Frustration, ihre Wut und ihren Haß aneinander ausließen. Die Mutter beherrschte die Kinder und ihren passiven und alkoholkranken Ehemann mit Zynismus, Spott und Demütigungen. (Johns Großvater väterlicherseits war nach Jahren der Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik gestorben.) Alle drei Kinder waren gezeichnet, aber John glaubt, er allein stände unter dem Fluch, in ständigem Kontakt mit dem chronischen Elend seines Lebens stehen zu müssen.

John war gesund aus einer normalen Schwangerschaft hervorgegangen, entwickelte aber ein Ekzem unmittelbar nach der Geburt. Eine nachgeburtliche Erkrankung der Mutter trennte ihn von ihr für ungefähr drei Wochen und ihm wurde gesagt, daß er die ersten fünf Monate seines Lebens geweint habe; die Diagnose lautete "Kolik". Er wurde mit der Flasche gefüttert, konnte mit einem Jahr laufen und war mit achtzehn Monaten "sauber".

Seine früheste Erinnerung war ein Gefühl des Verlassenseins, der Einsamkeit und der Angst, als seine Schwester in ein Tagescamp ging, als er 3½ war. John sagte: "Mein ganzes Leben kann in diese leidvolle Szene zusammengefaßt werden." Er war schüchtern und sensibel, ein Zuschauer, der hinaus in die Welt späht und versucht sich ihr anzupassen und akzeptiert zu werden. Seine schulischen Leistungen waren ausgezeichnet, aber er war sozial zurückgezogen, so daß er viel las und fernsah. Im Alter von 14 Jahren begann er mit sadistischen Fantasien zu masturbieren, bei denen es darum ging, sich wehrenden Frauen Sex aufzuzwingen. Seinen ersten Geschlechtsverkehr hatte er im Alter von 22 Jahren. Er lebte zu Hause und arbeitete als Programmierer, eine Arbeit, die ihm Angst machte, vor allem, weil er mit Menschen zu tun hatte.

Im Hinterkopf und Nackenbereich begannen im Alter von 5 Kopfschmerzen und hielten bis zur späten Adoleszenz an. Abgesehen von den Kopfschmerzen und einer Prädisposition für Halsinfektionen, war seine körperliche Gesundheit ausgezeichnet. Die biophysische Untersuchung ergab einen gut gebauten, gut proportionierten Mann mit gutem Muskeltonus. Seine Augen drückten Angst und eine tiefsitzende Panik aus und die Pupillen waren mäßig geweitet. Als er im Raum umher sah, vollführten seine Augen ruckartige Bewegungen und gingen zurück. Er konnte einfach nicht nach oben blicken und hatte keine Ahnung, ob er seine Stirn auf oder ab bewegte. Er hielt seine Augen halb geschlossen, als ob er einen Angriff erwartete. Seine Nackenmuskeln waren hart wie Stein und sein Unterkiefer konnte nur mit einigem Widerstand verschoben werden, obwohl er versuchte ihn locker hängenzulassen. Er konnte laut schreien mit einer rauhen, kratzigen Stimme. Wenn er atmete, bewegte sich seine Brust kaum. Die hintere Brustmuskulatur war fest und hart und die vordere empfindlich. Er schlug mit kurzen, abgehackten Hieben. Das Zwerchfell- und das Bauchsegment war angespannt und das Becken konnte gegen mäßigen Widerstand verschoben werden. Seine Beine waren steif und er konnte kaum treten. Meine Diagnose war katatone Schizophrenie.

Bislang hatte er insgesamt 158 Sitzungen. In den ersten drei Sitzungen drückte ich seine Brust mit den Händen, während ich ihn zwang, seine Augen offen und in Kontakt zu halten. Diese Mobilisierung beseitigte einiges von seiner akuten Depression und wir beide atmeten leichter. Von diesem Zeitpunkt an war jede Sitzung ziemlich ähnlich: ein paar tiefe Atemzüge führen ihn dazu vor Terror zurückzuschrecken und er kontrahiert und erstarrt. Seine Augen sind beinahe geschlossen mit fixierten und mäßig geweiteten Pupillen. Seine Arme sind an die Seiten gezogen, die Beine sind zusammengepreßt und leicht angezogen. Er schreit mit einer lauten kratzenden Stimme.

Erst bei der 9. Sitzung begannen wir beide seinen Terror zu verstehen. Er visualisierte eine Gestalt, möglicherweise einen Mann, als ich ihn zwang nach oben und nach links zu schauen. Damit begann der Prozeß häufigen Neuerlebens der spezifischen Schrecken seiner Kindheit. Er hat deutlich gesehen, wie sein Vater und seine Mutter auf ihn zukommen: sein Vater mit einem dämonischen Ausdruck und manchmal mit einem Messer (Alter 4), seine Mutter mit der Absicht ihn zu verletzen. Er schreit: "Bitte, tu mir nicht weh!" Er hat wiedererlebt, wie er mit einem Kissen erstickt, unter Wasser gehalten und gewürgt wurde. Er fühlt sich immer wertlos und schlecht und hört manchmal die Stimme seiner Mutter, in seinem eigenen Kopf oder von den Wänden des Raumes kommend, wie sie ihn verflucht.

Bis zur 18. Sitzung konnte er seine Arme nicht bewegen und dann nur, um sie vor sein Gesicht zu halten, um es vor Schlägen zu schützen. In der 22. Sitzung konnte er seine Beine bewegen und einiges von der Spastik in seinen oberen Segmenten loswerden. Er kann noch immer nicht treten. Bis er seine Beine bewegen konnte, war es ihm unmöglich meinem Finger oder einem Licht mit seinen Augen zu folgen. Von der 26. Sitzung an konnte er seine Augenbrauen und Stirn heben, um die Angst zu verstärken und seine Augen zu öffnen, während er schrie. Von der 50. Sitzung an konnte er einige Wut aufrechterhalten, um die Couch zu schlagen, ohne voll Angst zu kontrahieren. In der 68. Sitzung fühlte er die Einsamkeit und die Sehnsucht, die zuvor mit anderen Gefühlen vermengt gewesen waren, und konnte mit Tränen weinen.

Direkte Arbeit am Panzer hat sich fast ausschließlich auf Kopf, Hals und Beine beschränkt. Manchmal arbeite ich energisch an der Muskulatur der Kopfhaut und zu anderen Zeiten lasse ich ihn seine Kopfhaut ein wenig gegen meinen Widerstand bewegen. Eine andere Technik ist, den Kiefer heruntergedrückt zu halten und auf die Kaumuskeln zu drücken, während ich die Nackenmuskeln drücke und ihn schreien lasse. Ich muß nicht mehr ständig seine Augenlider geöffnet halten, um ihn in Kontakt zu halten, und er verträgt jetzt das Atmen über zwanzig Minuten hinweg. Alle andere direkte biophysische Arbeit richtet sich auf die Trapezmuskeln und die Beine. Weil er noch nicht gut treten kann, geht er am Ende jeder Sitzung im Behandlungsraum umher, um die Kontraktionen in den Beinen zu überwinden und wieder die Fassung zu gewinnen.

Es gab wenig Charakteranalyse per se. Unterstützung, Ermutigung und Verständnis sind in jeder Sitzung unverzichtbar. Er fühlt oft, daß es ihm nie besser gehen wird. Er schindet Zeit, um das Atmen zu vermeiden, besonders jetzt, da die schreckliche Einsamkeit und Sehnsucht auftauchen. Er träumte vor kurzem, daß er auf einem Hochseil war, nicht zurückgehen konnte und doch Angst hatte voranzuschreiten. Er lebt mit ständiger Angst, funktioniert aber trotzdem weiter. Er fühlt mehr denn je und gewinnt an innerer Stärke, die er vorher nicht hatte. Er hat geheiratet, renoviert sein neues Zuhause und ist selbständiger Schreiner. Ohne die Unterstützung und das Verständnis seiner Frau wäre er nie so weit gekommen.

John zeigt außerordentlichen Mut, Antrieb und Entschlossenheit, auch angesichts einer schweren Krankheit. Keiner von uns weiß, wie weit er gehen kann, aber er hat einen guten Anfang gemacht.