DIE ZEITSCHRIFT
FÜR ORGONOMIE

Liebe, Arbeit und Wissen sind die Quellen unseres Lebens.
Sie sollten es auch beherrschen.

WILHELM REICH

 



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David Holbrook
Charles Konia
Paul Mathews
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ORGONOMIE UND MYSTIZISMUS

Richard Schwartzman, D.O.

The Journal des Orgonomy vol. 27/2, 1993
The American College of Orgonomy

 

Ich habe weder Vorurteile gegen den Mystizismus, noch behaupte ich, ihn vollständig zu verstehen. Dieser Aufsatz soll eine bessere Sicht auf das Thema vor dem Hintergrund unserer Kenntnis der natürlichen Orgonenergie-Funktionen ermöglichen.

Die Orgonomie ist die Naturwissenschaft von der Orgonenergie und ihren Funktionen. Diese Energie gehorcht bestimmten Gesetzen. Reich beschrieb die Funktionen dieser Energie und ihrer Auswirkungen im Detail. Uns wurden bis heute keine wissenschaftlichen Beweise vorgelegt, die es uns erlaubten, Reichs ursprüngliche Prämissen oder Formulierungen umzuwerfen oder auch nur zu ändern. Seine energetische Theorie stellt eine einheitliche wissenschaftliche Erklärung für die Entwicklung aller lebenden Organismen und die Struktur der physischen Welt dar – von der Formation eines einzelligen Protozoons bis zum Aufbau des Kosmos.

Reich sah das Risiko voraus, daß seine wissenschaftlichen Entdeckungen durch gepanzerte Menschen verzerrt werden. Er warnte vor allem vor der Mystifizierung natürlicher energetischer Funktionen, denn er glaubte, daß derartige Verzerrungen die Folge von Panzerung sind. Mystisches und mechanistisches Denken entspringt dem Blockieren des freien Flusses der biologischen Energie. Ohne dieses Hindernis würden wir funktionell denken, d.h. so wie die Natur funktioniert.

Bei allen, die sich für das Studium der Orgonomie interessieren, besteht das Risiko gesetzmäßige Orgonenergie-Funktionen zu mystifizieren. Entsprechend warnte Reich vor denjenigen, die seine Entdeckungen wegen ihres Charakterpanzers für eigene Zwecke verändern würden. Die grundlegenden Prinzipien der Orgonomie erweisen sich weiterhin als richtig und das American College of Orgonomy sieht sich nicht in der Lage, die orgonomische Wissenschaft auf unbewiesenen Pfaden weiterzuentwickeln. Wir sind nicht bereit, Orgonomie durch eine andere "funktionelle Wissenschaft" zu ersetzen (1), vor allem keine, die im Mystizismus verwurzelt ist. Einige werfen uns vor, wir wären rigide und es ist tatsächlich schwer, der Mahnung entgegenzutreten, daß wir für "Veränderung und Entwicklung" offener sein sollten. Aber wir müssen nicht unbedingt davon ausgehen, daß eine Richtungsänderung an und für sich schon wünschenswert sei. Entwicklung kann die falsche Richtung nehmen, und wenn wir nicht klar im Kopf sind, werden wir uns auf einem unsoliden Kurs wiederfinden. Die Erscheinungsformen der energetischen Phänomene finden kein Ende, aus diesem Grund gibt es auch kein Ende dessen, was man untersuchen kann. Ein offener Geist ist für eine ehrliche Untersuchung unabdingbar, das ist aber nicht gleichbedeutend mit einem Mangel an Differenzierung.

Reich sagt uns, daß die Conditio humana Resultat von Panzerung ist. Es ist die Panzerung, die unseren individuellen Charakter bestimmt, den Grundstein für die Entwicklung der neurotischen und körperlichen Pathologie legt und unser Sozialverhalten und unsere politischen Neigungen prägt. Sie treibt uns auch dazu, mechanistisch oder mystisch zu funktionieren. Jeder von uns denkt und funktioniert mehr in die eine Richtung als in die andere, wahrscheinlich je nach Umfang und Verteilung der Panzerung.

Bakers Beschreibung der sozialen Charaktertypen bildet den Eckpfeiler unseres Verständnisses des Liberalen und des Konservativen (2). Der liberale Charakter neigt zu einer mechanistischen Erklärung der Naturerscheinungen und der Konservative zu einer mystischen. Der Mechanist, der von seinem Kern getrennt ist, lebt weitgehend in seinem Intellekt. Er kann nicht zum natürlichen Funktionieren durchdringen, außer in einem maschinenhaften Sinne. Dies ist so, weil er von seinen Sensationen und Emotionen abgeschnitten ist. Seine Energie ist weitgehend in seinen Kopf emporgezogen und sein Denken steckt in einem engen, oberflächlichen Bereich fest: im Bereich des sekundären materiellen Funktionierens. Er kann nicht mit seinem Kern Kontakt aufnehmen, da seine biologischen Energien stark blockiert sind.

Der einzelne Konservative auf der anderen Seite tendiert dazu mystisch zu sein und lebt im Kern und der mittleren Schicht seiner Struktur. Aber wegen der Verteilung seiner Panzerung kann er keinen vollständigen Kontakt erreichen. Er denkt und funktioniert auf eine ganz andere Art und Weise als der Mechanist und fühlt sich zu Spiritualität und Religion hingezogen. Er sehnt sich danach, mit dem Kosmos zu verschmelzen, da er Kernkontakt bewahrt hat. Im Gegensatz zum Mechanisten hat der Mystiker die Tendenz mit Konzepten zu hantieren, die nicht von dieser Welt sind, und kommt dazu Wörter zu verwenden, denen keinerlei Wirklichkeit entspricht. Dies führt zu einem Paradox, weil sein Denken, das vorspiegelt sehr tiefgehend zu sein und in das Wesen der Dinge einzudringen, tatsächlich oberflächlich bleibt. Es scheint nur, daß er ein tiefes und profundes Wissen vermittelt. Durch den Anschein, daß er in die Tiefe geht, bietet der Mystizismus eine Illusion des Wohlbefindens. Dies dient der Angstminderung und fördert das Gefühl des Einsseins mit dem Universum (3).

Der Augenblock, der dem Mystizismus immanent ist, verändert Wahrnehmung und Denken und führt zu einem Zustand verminderten Kontakts. Eine große Attraktion des Mystizismus ist seine Macht, dem Denken Einhalt zu gebieten. Veränderte Wahrnehmung, und damit verändertes Denken, erlauben es deiner Energie diffus zu werden und nach außen erweitert. Dadurch entsteht das Gefühl ders Verschmelzens mit Gott oder mit dem Absoluten.

Mystik wurde definiert als "Ausdruck der angeborenen Neigung des menschlichen Geistes nach voller Harmonie mit der transzendenten Ordnung" (4). William James, ein Pionier, was die Erforschung des Paranormalen anbetrifft, und Autor von The Varieties of Religious Experience, hat vier bekannte Merkmale der mystischen Erfahrung vorgeschlagen (5). Es sind Unbeschreiblichkeit, eine noetische Qualität, die Erfahrung könne nicht lange aufrechterhalten werden und Passivität. Vergänglichkeit und Passivität sind selbsterklärend. Unbeschreiblichkeit bezieht sich auf Erfahrung, die sich nicht beschreiben läßt – daß deren Inhalt nicht in Worte gefaßt werden kann und daß ihre Qualität direkt erfahren werden muß. Eine noetische Qualität ist zwar ähnlich wie ein Gefühlszustand, wird jedoch von denen, die sie erlebt haben, als ein Zustand des Wissens definiert.

Was geschieht in der mystischen Erfahrung? Unzählige Bände über jeden Aspekt des Themas sind geschrieben worden, es gibt jedoch eine eindeutige Übereinkunft über mindestens einen Punkt: der Mystiker unterliegt einer veränderten Wahrnehmungsweise. Dies ist eine wahrhafte Wahrnehmungsveränderung und nicht einfach eine Erweiterung des Ichbewußtseins. Tatsächlich gehen die Ichgrenzen und der Sinn für das individuelle Selbst verloren. Es kommt zu einem subjektiven Bewußtseinsmodus. Er ist nicht-begrifflich. Die Abkehr vom Weltlichen ist außergewöhnlich. Dieser veränderte Zustand – diese mystische Erfahrung – entzieht sich jeder Beschreibung. Alle Bemühungen, es zu tun, müssen fehlschlagen, genauso wie jeder Versuch, ein Objekt zu berühren, das in einem Spiegel gesehen wird, scheitern muß. Die Veränderung in der Wahrnehmung erzeugt eine Spaltung und das ist es, was es dem Mystiker unmöglich macht, seine Erfahrung mitzuteilen. Er kann seine eigene Wahrheit anderen nicht vermitteln, die keine Erfahrungen gemacht haben, die auf persönlich Erlebtem beruhen. Wenn er Interpretationen gibt, die seine Erfahrung nachvollziehbar machen sollen, leiten diese direkt zum Übernatürlichen und zu Gott.

In diesem Zustand, der flüchtig oder konstant sein kann, tritt der Übergang zu einer anderen Sichtweise auf. Das Individuum tritt in einen Zustand des Wissens und Mystiker sind davon überzeugt, die sie in Kontakt mit der objektiven Wirklichkeit getreten sind. W.R. Inge schreibt, daß Mystiker "davon überzeugt sind, daß sie in Kontakt mit der objektiven Realität stehen bzw. gestanden haben, daß sie Zugang zur höchsten spirituellen Macht hinter der Welt unseres oberflächlichen Bewußtseins gewonnen haben" (6). Ihre innere Erfahrung hat sich grundlegend verändert, wenn dies geschieht, und es bestätigt sie darin, daß die Seele eine Affinität mit der Urquelle aller Wirklichkeit hat. Es wurde gesagt: "Mystik, in ihrer reinen Form, ist die Wissenschaft der Vereinigung mit dem Absoluten und nichts anderes, und der Mystiker ist derjenige, der diese Vereinigung erreicht, nicht die Person, die darüber spricht" (7). Es wurde vom mystischen Gebet auch gesagt, daß es "nichts anderes ist als die Sehnsucht der Seele".

Die zentrale Frage, die aus all dem folgt, lautet: Sind mystische Erfahrungen rein subjektive Phänomene oder haben sie jene Art von objektiver Realität, die Mystiker und andere ihnen zuschreiben? Eine ergänzende Frage muß auch in Erwägung gezogen werden: Inwieweit wohnt der gepanzerten Struktur des Menschen der Versuch inne, wenn er die Grenzen seines Wissens erreicht hat, wegen seiner unerfüllten Sehnsucht zu dem durchdringen zu wollen, was nicht verstanden werden kann?

Ich selbst bleibe skeptisch, was die Existenz mystischer Kräfte im Universum betrifft. Aber ich vermute, daß ich eine andere Haltung einnehmen könnte, sollte ich einen veränderten Zustand mit der Wahrnehmung erleben, die Wahrheit zu "kennen" oder die Anwesenheit Gottes zu erleben oder eine Einheit mit dem Universum. Jenen, die eine mystische Erfahrung gehabt haben, wenn vielleicht auch nur einmal, fällt die Einsicht nicht schwer, daß diese als Ruf interpretiert werden könnte, Gott und die Religion anzunehmen oder den Weg des Übernatürlichen zu beschreiten. Die Erfahrung muß außergewöhnlich sein. Allerdings sind diese veränderten Gefühlszustände Ergebnis von Verzerrungen in der Wahrnehmung unserer biologischen Energie. Diese Gefühle werden projiziert und werden als von außerhalb des Körpers kommend wahrgenommen. Das ist der Mechanismus, mit dem diese Empfindungen Gott oder dem Übernatürlichen zugeordnet werden.

Reich zufolge ist Mystizismus die Veränderung von Sinneseindrücken und Organsensationen in übernatürliche und irreale Kräfte (8). Er fährt fort: "Die Existenz einer trennenden Mauer zwischen Erregung und Empfindung begründet (…) das mystische Erlebnis." Es ist die Blockierung der unmittelbaren Organsensationen und ihr Wiederauftauchen, was die krankhafte Wahrnehmung von "übernatürlichen Mächten" hervorruft.

Eine von Reichs stärksten Aussagen zu diesem Thema lautet: "Die funktionelle Identität als Forschungsprinzip des energetischen Funktionalismus kommt nirgends so prächtig zum Ausdruck wie in der Einheit von Seelischem und Körperlichem, von Emotion und Erregung, von Empfindung und Reiz. Diese Einheitlichkeit oder Identität als Grundprinzip der Anschauung des Lebendigen schließt Jenseitigkeit oder auch nur die Autonomie des Seelischen völlig und endgültig aus" (9).

Interessant ist ein Blick auf die Entwicklung von Reichs Einsicht in das mystische Denken. Ein Teil dieser Einsicht kam aus der Prüfung, warum bis dahin die Wissenschaftler die Orgonenergie nicht entdecken konnten. Er schrieb, "wie erstaunlich es ist, daß die kosmische Orgonenergie von den Physikern so gründlich und so konsequent übersehen wurde" (10). Dies führte wiederum zu der Einsicht, warum einige Menschen mit der Orgonenergie nicht effektiv arbeiten können. Er schreibt, daß es eine Identität zwischen der "Angst vor den Organempfindungen und der Angst vor wissenschaftlicher Orgonforschung" gibt (11). Und er fährt fort: "Es ist die Angst vor den autonomen Organempfindungen, die die Richtung des Orgons sperrt." Solchen gepanzerten Menschen ist, wenn überhaupt, nur ein intellektuelles "Interesse" an der Orgonwissenschaft möglich, aber sie können nie wirklich tief in die Arbeit eindringen.

Wenn wir im Moment die Frage beiseite lassen, ob es Menschen gibt, die paranormale Kunststücke vollführen können, bleiben die Parallelen zwischen dem mystischen Denken und dem Denken einiger derjenigen von Interesse, die sich zur Orgonomie hingezogen fühlen. Ich behaupte, daß diejenigen, die Interesse an Reich haben, darunter auch viele, die sich aufgemacht haben, sich einer medizinischen Orgontherapie zu unterziehen, sich notwendigerweise einen gewissen Kernkontakt bewahrt haben und von daher auch weiterhin eine Sehnsucht nach kosmischer Vereinigung haben. Sie haben Reich gelesen und die Gültigkeit der orgonomischen Theorie intuitiv verstanden. Jedoch sind sie oft für mystisches Denken anfällig und praktizierende medizinische Orgonomen werden häufig von Menschen derartiger Neigung um eine Behandlung gebeten. Diese Patienten erwarten, ob ihrer mystischen Ausrichtung, zu oft Magie – daß die Behandlung den Himmel auf Erden bringen wird – und das mit einer möglichst kurzen Behandlungsdauer.

Es gibt einige interessante Parallelen zwischen denjenigen, die zum Mystizismus neigen, und einigen Personen, die sich zur Orgonomie hingezogen fühlen. Der Mystiker erhofft sich universelle spirituelle Ressourcen, um seinem Leben Sinn zu geben. Der Student der Orgonomie kommt ebenfalls, weil er auf der Suche nach Antworten ist und nach einem Ausweg aus der Falle. Beide nehmen eine Energie war, wobei der Mystiker sie Gott oder der geistigen Welt zuschreibt, während der ernsthafte Student der Orgonomie die Energie wissenschaftlich objektiviert und sie niemandem zuschreibt. Beide behaupten, es sei mehr am Werk als die "sichtbare Welt". Der Mystiker sucht nach Antworten im Übernatürlichen. Die, die in Behandlung sind, müssen sich davor hüten, nach Wundern zu suchen und an die Orgontherapie so zu glauben, als wäre sie eine Religion, die alle Antworten hat und nicht enden wollendes Glück bringt. Das ist magisches Denken. Der Mystiker bildet Sekten und hat seine Gurus. Einem solchen Verhalten in unserer Mitte, d.h. dem Idealisieren des medizinischen Orgonomen muß widerstanden werden.

Der Mystiker und Personen, die sich zur Orgonomie hingezogen fühlen, zeigen einige weitere interessante Entsprechungen in ihrem Denken und ihrer Wahrnehmung. Beide gehen davon aus, obwohl in unterschiedlichem Sinne, daß eine Reinigung für die richtige Wahrnehmung notwendig ist: der Mystiker durch richtiges Leben, moralische Mittel, Meditation, etc. und der Student der Orgonomie durch Auflösung des Panzers in der Therapie. Beide suchen die Befreiung von Angst, ein Gefühl der Freiheit und ein Gefühl der Freude. Beide sehnen sich nach kosmischem Kontakt. Der Mystiker versucht, die ekstatische Erfahrung durch Vereinigung mit Gott oder einem universellen Geist zu erlangen. Der Mensch in Therapie strebt nach einer genitalen Funktionsweise.

Beide versuchen, die Realität zu verstehen und die Vollkommenheit zu verwirklichen – der Mystiker durch Verschmelzen mit dem Letztendlichen und der andere, für den die Genitalität der Eckpfeiler ist, durch die Fähigkeit, sich bioenergetisch in der genitalen Umarmung zu überlagern und sexuelle Erregung auf dem Höhepunkt des Geschlechtsaktes zu entladen. Der Mystiker versucht vollständige Bewußtheit durch Kontakt mit dem jenseitigen Universum zu erlangen; der Patient in Therapie versucht vollständigeren Kontakt mit sich selbst, anderen und seiner Umwelt zu erreichen, indem er sich selbst vom Panzer befreit und durch Wiederherstellung des freien Flusses seiner eigenen biophysischen Energie. Wir haben das Gefühl, daß durch die Beseitigung der Panzerung in diesem Leben ein Mensch dem natürlichen Funktionieren näher kommen und sein inhärentes Potential entwickeln kann. Die Theorie, der wir anhängen, bleibt in dieser Welt und ist ein Teil von ihr. (Der Mystiker strebt nach übernatürlicher Entfaltung, wenn nicht in diesem Leben, dann nach dem Tod, mit nachfolgenden Reinkarnationen.) Wir gehen davon aus, daß die Verbesserung des menschlichen Daseins nur durch die Verhinderung der Panzerung bei Säuglingen und Kindern herbeigeführt werden kann. Wir setzen keine Hoffnung in die Reinkarnation.

Ich habe über die Parallelen zwischen dem mystischen Individuum und einer Art von Person gesprochen, die sich zur Orgonomie hingezogen fühlt. Betrachten wir nun einige der Ähnlichkeiten zwischen dem Mystiker und dem Schizophrenen. Wie bereits erwähnt, hatte Reich den Eindruck, daß die Blockierung direkter Organempfindungen zur Wahrnehmung übernatürlicher Kräfte führt und er sagte: "Dies gilt für den Spiritualisten, den Schizophrenen, den religiösen Physiker und für jede Form von Paranoia." Mystiker sind nicht notwendigerweise schizophren, aber die ihnen gemeinsamen Verzerrungen in der Wahrnehmung und daher im Denken rückt sie nahe aneinander.

Reich fühlte, daß der Mystiker "dem schizoiden Charakter strukturell nahesteht" und daß er in der Regel die orgonomischen Realitäten erkennt, "wenn auch nur wie in einem Spiegel" (12). In einem etwas anderen Zusammenhang sagt er: Mystiker kommen zu „einem Bild der Wirklichkeit, in dem sich die realen Vorgänge zwar abgebildet finden, aber nicht in Übereinstimmung mit den objektiven Vorgängen, sondern verzerrt". Es ist interessant, daß Reich die Analogie eines Spiegels an mehr als einer Stelle in seinen Schriften verwendete und daß in "Schinto-Tempeln ein Spiegel steht, als Symbol für die Tatsache, daß, um die Realität sehen zu können, man sowohl sich selbst als auch die illusorische Natur seiner selbst sehen muß, die Realität des abgetrennten Wesens und – aus einem anderen Blickwinkel – daß es nicht Wirklichkeit ist, sondern eine Illusion" (13). Coleridge beschrieb die Spaltung prägnanter und poetisch: "der Geist sieht zur Hälfte und erschafft zur Hälfte".

Eine Durchsicht der Beschreibungen des paranoid-schizophrenen Denkens in psychiatrischen Lehrbüchern zeigt, daß die Krankheit einiges mit mystischem Denken gemein hat. Der Psychotiker und der Mystiker glauben beide, daß sie mit großen Kräften ausgestattet sind, die oft gottgegeben sind. Beide sind bekannt dafür, an der absoluten Überzeugung festzuhalten, daß sie Naturereignisse kontrollieren können – Ereignisse wie etwa Erdbeben. Der Schizophrene hält an fixen Überzeugungen fest, die nichts mit der Realität zu tun haben. Das genau ist die Definition wahnhaften Denkens. Dieser Glaube erstreckt sich häufig auf die Überzeugung, daß ihre Taten von einer externen Kraft gesteuert werden. Das Denken ist magisch und tendenziell abergläubisch. Mystisches Denken führt in die gleiche Richtung. Der Schizophrene und der Mystiker glauben beide an Hellsehen und Telepathie und beide können die Gegenwart einer Kraft oder von Personen spüren, die nicht tatsächlich anwesend sind.

Wahnhaftes Beziehungserleben tritt häufig bei Psychosen auf und der Schizophrene schreibt Geschehnissen und Gegenständen eine besondere und ungewöhnliche Bedeutung zu. Häufig berichtet er, daß er "Zeichen" erhält, wenn er Dinge anschaut. Der Mystiker denkt auf eine sehr ähnliche Weise und zieht Verbindungen zwischen voneinander unabhängigen Ereignissen und schreibt ihnen eine tiefe Bedeutung zu. Ereignisse haben für ihn tiefe Bedeutung und vermitteln Einsichten. Selten wird Zufälligkeit eingeräumt, stattdessen wird es Serialität, Synchronizität und unsichtbaren übernatürlichen Kräften zugerechnet. Der, der in der Orgonomie arbeitet und einen Hang zum Mystizismus hat, muß auf der Hut davor sein, nicht dieser Art von allmächtigem Denken zu verfallen. Das trifft insbesondere zu, wenn er mit der Energie direkt arbeitet. Umfangreiches Arbeiten mit dem medizinischen DOR-Buster oder dem Cloudbuster kann Personen, die mit diesen Geräten umgehen, dazu bringen sich gott-gleich zu fühlen. Den Prozeß mystifizierend, glauben sie, daß sie es sind, die den Patienten oder die Atmosphäre beeinflussen und daß das Gerät nur ein Kanal für ihre energetischen Kräfte ist.

In schweren Fällen von psychotischem Zusammenbruch kann der Betreffende ein Zusammenfließen der Sinne erleben – und das geschieht manchmal auch beim Mystiker. Farben können gehört und Klänge gesehen werden. LSD und andere Chemikalien können solche veränderten Zustände auslösen und viele Menschen, wenn nicht ganze Kulturen, wählen diesen chemische Pfad als Rezept, mystische Erfahrung zu erlangen.

Ist der Mystizismus auf dem Vormarsch? Ich bin mir nicht sicher. Wenn ich in Kalifornien bin, denke ich schon, daß es so ist, – wenn ich hier an der Ostküste bin, glaube ich es nicht. Allerdings sehe ich, daß es ein Wiederaufleben der Religion gibt. Vielleicht ist das eine Reaktion auf den gegenwärtigen technologischen Fortschritt, der nicht das gehalten hat, was er versprach, d.h. uns ein Gefühl von Zufriedenheit und Erfüllung zu verschaffen.

Ich behaupte, daß ein Großteil des mystischen Denkens Produkt eines gestörten Energieflusses innerhalb des einzelnen Menschen ist. Ich behaupte, wie Reich, daß an der Wurzel der Mystik ein biopathischer Prozeß am Werk ist. Doch was kann im Zusammenhang mit Orgonenergie-Funktionen über den Bruchteil unerklärlicher mystischer Erfahrungen und Vorkommnisse, von denen berichtet wurde, gesagt werden? Es wär arrogant, jede unerklärliche Erfahrung oder Ereignis abzutun als Produkt der aus den Fugen geratenen Struktur eines Menschen. Diese Erfahrungen müssen vorerst ohne wissenschaftliche Erklärung bleiben. Natürlich solange man von regelrechtem Betrug und Hysterie absieht. Ich behaupte, daß die meisten unerklärlichen Vorfälle Produkt natürlicher Energiefunktionen sind und man herausfinden wird, daß sie physikalischen Gesetzen gehorchen, die bis jetzt unentdeckt geblieben sind. Wir wissen: Es gibt einen Äther – der Raum ist nicht leer, sondern mit einem kontinuierlichen dazwischenliegende Medium angefüllt – die kosmische Orgonenergie. Wir wissen auch, daß jeder von uns eine Energiequelle mit einem Feld ist, das über unsere Hautoberfläche hinausreicht. Es folgt, daß die Energiefelder zwischen den Individuen über einen Abstand durch die Atmosphäre in Kontakt treten können. Angesichts dieses Energiekontinuums scheint es nicht so unwahrscheinlich zu sein, daß Menschen so übereinstimmen, daß es sozusagen zur Resonanz kommt und irgendeine Art von Kontakt durch den kontinuierlichen atmosphärischen Äther hergestellt wird. Es ist möglich, daß durch dieses Medium eine Energieübertragung erfolgt und daß vielleicht sogar Energie gerichtet werden kann, um so auf Materie einzuwirken.

Trotzdem obliegt es uns zweifellos weiterhin, die größte Skepsis gegenüber denjenigen zu hegen, die den Anspruch auf übernatürliche Fähigkeiten und mystischen Kräfte erheben.

 

Fazit

Einige Menschen, die sich in der Orgonomie engagieren, können für mystisches Denken empfänglich sein. Ein Maß von Kernkontakt bei Anwesenheit von Panzer sind entscheidende beitragende Faktoren. Dies findet sich nicht selten bei denjenigen, die ihre Ziele nicht durch Orgontherapie erlangen konnten. Sie wenden sich der Mystik zu mit der Hoffnung auf irgendeine universelle spirituelle Ressource, die ihrem Leben Bedeutung gibt und ein größeres Gefühl des Wohlbefindens.

Die Sehnsucht nach Heilung ist universell und sie wird so lange bestehen, wie der Mensch gepanzert ist. Von allen Seiten werden Behandlungen angeboten, die Heilung versprechen, aber die medizinische Orgontherapie und die Erhaltung von Reichs Entdeckungen steht bei uns weiterhin im Mittelpunkt. Bis wir dazu Anlaß haben unseren Kurs zu ändern, wird dies die Arbeit des American College of Orgonomy bleiben.

 




Literatur

  1. Blasband, R.A.: Editor's Page. Journal of Orgonomy, 26(1), 1992
  2. Baker, E.F.: Der Mensch in der Falle. München: Kösel, 1980
  3. Konia, Charles: persönliche Mitteilung an den Autor
  4. Underhill, E.: Mysticism. London: Collier Books, 1911
  5. James, W.: The Varieties of Religious Experience. New York: American Library, 1958, Lecture XVI, S. 292f
  6. Elmwood, R.S.: Mysticism in Religion. Englewood Cliffs, NJ: Prentice Hall, 1980
  7. Underhill, E., op. cit. p. 72
  8. Reich, W.: Äther, Gott und Teufel. Frankfurt: Nexus, 1983, S. 97
  9. ibid., S. 95
  10. ibid., S.88
  11. ibid., S.89
  12. Reich, W.: Charakteranalyse. Köln: KiWi, 1989
  13. Le Shan, L.: The Medium, the Mystic, and the Physicist. New York: Viking Press, 1974