DIE ZEITSCHRIFT
FÜR ORGONOMIE

Liebe, Arbeit und Wissen sind die Quellen unseres Lebens.
Sie sollten es auch beherrschen.

WILHELM REICH

 



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David Holbrook
Charles Konia
Paul Mathews
Vittorio Nicola

ORGONOMISCHE ERSTE HILFE IN MEDIZINISCHEN EINRICHTUNGEN

Howard J. Chavis, M.D.

The Journal of Orgonomy vol. 21/2, 1987
The American College of Orgonomy

 

Fortschritte in der Molekularbiologie und Innovationen in der diagnostischen Technologie, die an sich zweifelslos von Wert sind, stammen aus und setzen die mechanistische Tradition der modernen Medizin fort. In Kontrast dazu macht eine funktionelle, orgonomische Herangehensweise an Panzerung, Charakterstruktur und Gesundheit eine Vielzahl von Symptomen verständlich, die leicht zu beobachten sind, aber in der Regel übersehen werden, und die Ausdruck eines gestörten vegetativen Funktionierens im lebenden Organismus sind. Die folgenden Fallbeispiele zeigen nicht nur den weiten Bereich, in dem diese Herangehensweise zum tragen kommt, sondern auch ihre Anwendung als orgonomische Erste Hilfe in der restriktiven Umgebung der traditionellen medizinischen Einrichtungen.

 

Falldarstellung

Mai Ling ist eine 32 Jahre alte, in Taiwan geborene, chinesische Mutter von zwei Kindern, die ins Krankenhaus aufgenommen worden war, um eine rätselhafte Bauchblähung abzuklären. Nachdem eine umfangreiche medizinische Begutachtung (einschließlich Computertomographie, Endoskopie und Kontrastmittelradiographien des oberen und unteren Darms) reichlich Luft im Magen-Darm-Trakt ohne Verschluß nachgewiesen hatte, wurde eine psychiatrische Konsultation angefordert. Bei der ersten Untersuchung war die Patientin eine höfliche, leise sprechende, leicht ängstliche, angenehm wirkende chinesische Frau, der ihre Bauchblähung ein wirkliches Rätsel war. In Englisch mit Akzent präsentierte sie ein realistisch klingendes Bild des täglichen Lebens mit Höhen, Tiefen und kleineren Frustrationen. Sie liebte ihren Ehemann, einen guten Versorger, ihre beiden Töchter, im Alter von Vier und Zwei, und kümmerte sich hingebungsvoll um ihre Familie und ihr neues Vorstadthäuschen. Sie gab zu, daß sie Taiwan und ihre Familie vermisse, bestand aber darauf, daß der Umzug in die USA fünf Jahre zuvor gut verlaufen sei.

Zur einzigen bedeutenden Änderung in ihrem Gebaren kam es, als ich sie zufällig fragte: "Wer lebt sonst noch im Haus?" Die Antwort, begleitet von einem Schlucken, lautete: "Die Schwiegermutter zu Besuch aus Taiwan." "Wie lange wird sie voraussichtlich bleiben?" "Es ist unangebracht, eine Schwiegermutter zu fragen", war die von einem Schlucken begleitete Antwort. Die Frage, ob sie wisse, daß sie jedesmal schluckt, wenn sie von ihrer Schwiegermutter spricht, beantwortete Mai Ling negativ. Mit anhaltendem Hinweisen auf ihr Schlucken und sanftem charakteranalytischen Sondieren, kam die Geschichte, zunächst unter Tränen und dann mit zunehmendem Zorn, zum Vorschein.

Mai Ling, frisch verheiratet, zog bei der Familie ihres Mannes ein. Wenn ihr Mann außer Haus war, wurde sie von ihrer Schwiegermutter mit brutaler Verachtung behandelt. Die junge Braut, lebhaft und voller Energie, die an die Güte ihrer eigenen Familie gewöhnt war, war zunächst schockiert und dann wütend auf diese Behandlung, aber durch den traditionellen "Respekt" gebunden, schwieg sie und fühlte sich zunehmend unglücklich beim verzweifelten und natürlich erfolglosen Versuch eine "gute" Schwiegertochter zu sein. Glücklicherweise kam bald die Erlösung in Gestalt der Auswanderung in die Vereinigten Staaten. Sobald das Paar hier war, gedieh es. Erfolg im Geschäft wurde durch die Geburt von zwei reizenden Kindern und den Umzug in ein neues, größeres Zuhause begleitet. Ihr Ehemann, der seiner Frau mit ihren zunehmenden Aufgaben helfen wollte, lud seine Mutter zu einem Besuch ein. Mai Ling, aus Respekt vor ihrem Ehemann, schluckte ihre Einwände, schwieg wieder und harrte ihres Schicksals.

Ihre Schwiegermutter machte dort weiter, wo sie fünf Jahre zuvor aufgehört hatte. Bald machte sie ihr Leben unglücklich mit Sticheleien, Beleidigungen und nicht enden wollender Kritik. Diesmal gab es kein entkommen. Mai Ling hatte keinen Führerschein, die Kinder benötigten ihre Anwesenheit und ihr Mann verbrachte viele Stunden bei der Arbeit. Das einzige Mittel, die schreiende Wut, die in ihrem Hals aufstieg, in Zaum zu halten, bestand darin, sie durch Herunterschlucken zu ersticken. Jedes Schlucken brachte Luft in den Magen-Darm-Trakt. Das Ausmaß der Bauchblähung stand somit in direktem Zusammenhang mit der Intensität ihrer Wut.

Mai Ling wurde täglich gesehen, sitzend, für vier Sitzungen im Krankenhaus und für drei Folgesitzungen nach der Entlassung. Nicht nur fand sie sofortige Linderung, indem sie ihrer Wut Luft verschaffte, sondern darüber hinaus konnte sie, sobald sie die Verbindung zwischen ihrem Schlucken, ihrer Notwendigkeit (charakterologisch/kulturell) ein "gutes" Mädchen zu sein und ihrer Intoleranz für Wut sah und erlebte, ihrem Mann "die ganze Geschichte" erzählen. Nachdem er unterrichtet war, beschleunigte er "respektvoll" die Rückkehr seiner Mutter nach Taiwan.

 

Falldarstellung

Maria ist eine 22jährige philippinische Krankenschwester, die in der neurologischen Abteilung aufgenommen worden war, um Episoden von "Schwindel" und "Hinfallen" untersuchen zu lassen. Die Episoden von Schwindel waren vorübergehend, dauerten nur wenige Minuten an, wurden nicht von Bewußtlosigkeit oder unwillkürlicher motorischer Aktivität begleitet und traten normalerweise auf, wenn sie allein war, manchmal in potentiell gefährlichen Situationen, wie z.B. während sie mit dem Auto fuhr. Mehrere Male, und in letzter Zeit mit zunehmender Frequenz, fiel sie auf den Boden, als ihr schwindelig war, aber sie konnte nicht erklären, wie ihr geschah. Sie konnte nur sagen, daß sie sich "schwach" fühle. Diese Symptome begannen eine oder zwei Wochen nach dem Unfalltod einer älteren Schwester mehrere Monate vor der Aufnahme. Obwohl keine bestimmte Verbindung mit dem Tod ihrer Schwester gezogen werden konnte, weder durch sie selbst noch durch den Neurologen, schien der Zeitpunkt des Auftretens ihrer Symptome sicherlich mehr als zufällig zu sein. Außerdem zeigte die neurologische Evaluierung, einschließlich CT-Scan und Elektroenzephalogramm (Routine und Schlafentzug), normale Ergebnisse. Eine psychiatrische Konsultation wurde angefordert.

Bei der Erstbegutachtung lag die Patientin im Bett – wegen der Gefahr eines Sturzes waren ihre Aktivitäten eingeschränkt. Sie war mit einem "Nachthemd" bekleidet, hatte einen formschönen, wenn auch schmächtigen Körper, sah jünger aus, als es ihrem chronologischen Alter entsprach, und verhielt sich auf eine kokette Art und Weise, obwohl sie offensichtlich leicht depressiv war. Als sie ihre Angst vor der Möglichkeit eines Hirntumors zum Ausdruck brachte, wurden ihre Augen stumpf und eine Einschränkung ihrer Atmung war erkennbar. Als Antwort auf ergebnisoffene Fragen erzählte sie von ihrer Lebensgeschichte als jüngste Tochter in einer großen Familie auf den Philippinen, als Schülerin an katholischen Schulen, die von Nonnen beherrscht wurden, ihrer geheimen inneren Rebellion gegen und ihrer äußeren Unterwerfung unter diese Konformität, die Starrheit der Erwartungen von Seiten der Familie und der Gesellschaft. Die Übersiedlung ihrer Familie in die Vereinigten Staaten, als sie ein junger Teenager war, war für sie eine willkommene Veränderung.

Mehrmals wies ich auf ihre Tendenz hin den Atem anzuhalten und erläuterte, wie dies ihr half Gefühle zu unterdrücken. In den folgenden Sitzungen forderte ich sie auf stärker zu atmen. Sie ging sogleich in den Augen "weg", worauf ich sie ebenfalls hinwies. Die Atmung, in Kontakt, löste allmählich Schluchzen und Weinen aus. Ihrer Beschreibung nach hörte sie ein schreckliches dumpfes Aufschlagen, sie ging voll Angst ins Badezimmer, wo sie ihre Schwester fand, die mit Blut bespritzt war, bewußtlos in der Badewanne lag, stark aus der Wunde blutete, wo sie mit ihrem Kopf aufgeschlagen war und wie die Familie am Krankenhausbett wache hielt, bis ihre Schwester einige Tage später für tot erklärt wurde. Fortgesetztes Atmen, mit gutem Kontakt, löste zunehmend Zorn und Wut und brachte den Rest der Geschichte zu Tage.

Die tote Schwester hatte seit Jahren mit Drogen und Alkohol zu tun und Maria war, ebenfalls jahrelang, von ihren Eltern die Aufgabe zugemessen worden, ihre Schwester von der schiefen Bahn abzuhalten. Nach außen hin nahm sie diese Aufgabe an – sie war schließlich eine "gute" Tochter und Schwester. Innerlich verspürte sie jedoch wachsenden Unmut über die Verantwortung, zumal ihre Schwester nie Grenzsetzungen oder Rat akzeptierte. Endlich erklärte sie ihre Unabhängigkeit und beschloß einige Tage vor der Tragödie nicht mehr über ihre ältere Schwester zu wachen. In der Nacht ihres Unfalls kam die Schwester vor Trunkenheit torkelnd nach Hause und ließ verlauten, eine Dusche nehmen zu wollen. Maria war sich der Gefahr bewußt, blieb jedoch dennoch bei ihrer Entscheidung – es waren andere Familienmitglieder im Hause – und erlaubte ihrer Schwester mit deren Vorhaben fortzufahren, mit tragischen Folgen.

Marias Ärger, der sich zunächst gegen ihre Schwester richtete, wegen der vorliegenden Tragödie und wegen vergangener selbstzerstörerischer Verhaltensweisen, verwandelte sich bald in bittere Wut auf ihre Eltern, daß sie ihr ständig die Verantwortung für ihre Schwester zugewiesen hatten. Über mehrere nachfolgende Sitzungen erzählte sie voll Zorn von anderen Zwischenfällen, bei denen es um Verantwortung ging, die ihr zugewiesenen worden war, einschließlich des Selbstmordes durch Erhängen eines depressiven Freundes mehrere Jahre zuvor. Er hatte sich ebenfalls geweigert ihren Rat anzunehmen, professionelle Hilfe zu suchen. Maria wurde für fünf Sitzungen im Krankenhaus gesehen. Im Fortlauf der Behandlung verschwanden ihre Episoden von Schwindel und Fallsucht und bei der letzten Folgeuntersuchung, ein Jahr nach der Behandlung, war sie symptomfrei geblieben und plante zu heiraten.

 

Diskussion

Das energetische Verständnis von Panzerung, Charakterstruktur und Gesundheit und die Prinzipien der Behandlung auf der Grundlage dieses Verständnisses sind wirkungsvolle therapeutische Instrumente in verantwortungsvollen klinischen Händen. Bei diesen beiden Fallbeispielen ermöglichten "einfache" Beobachtungen der somatischen Panzerung und das Erkennen der Bedeutung des Panzers im charakterologischen Rahmen eine effektive Behandlung mit rascher Linderung der akuten Symptome und Wiederherstellung eines früheren Niveaus des organismischen Funktionierens. Dies ist per definitionem orgonomische Erste Hilfe, hier in einer traditionellen medizinischen Umgebung angewendet. Sowohl charakteranalytische als auch somatische Behandlungsmethoden kamen zur Anwendung. Die funktionelle Identität eines Charakterzuges und eines kulturellen Werts, mit Verankerung in der somatischen Panzerung, wurde ebenfalls demonstriert.